Ein Weg
Viel ist Zeit vergangen. Meinen ersten Blog zum Projekt Wandlung21, habe ich, seitdem ich ihn geschrieben habe, nicht mehr gelesen. Darum wird es diesmal wohl, im zweiten Blog Wandlung21, einige Wiederholungen geben. Manches wird sicher auch über das Projekt hinausgehen und mehr Auskunft geben zu meiner Spieltheosophie, und assoziativer sein als im ersten Blog, zu diesem Thema.
Erinnerungen
Die Methode Slow Acting-Schauspiel hat sich entwickelt aus meinen persönlichen Theatererfahrungen als Schauspieler, aus meiner Weiterbildung in Initiatischer Therapie und Zen, der Gestaltpsychologie, dem Psychodrama und aus meinen Studien östlicher Bühnenkunst, der Theateranthropologie und den vielen avantgardistischen Spiel- und Ausdrucksexperimenten im In- und Ausland, zusammen mit Gianni Sarto. Eine tief gelotete, künstlerische Entwicklung der individuellen Persönlichkeit, durch die Slow Acting Wahrnehmungs- und Ausdruckskunst, ist zigfach bezeugt. Voraussetzung war und ist, das kontinuierliche sich Einlassen, zeitlich und persönlich .Darum trägt die Methode zu Beginn ihrer und meiner bewussten Entwicklung, den Titel Schauspiel als Weg. n Anlehnung an die Zen-Tradition des WEGES.
Die freie und die ritualisierte Improvisation
Das sind zwei unterschiedliche Wege, die hier zusammengehören. Wir werden sie auch in dieses Projekt integrieren. Die freie Improvisation aktiviert mehr die persönlichen, die ritualisierte Improvisation mehr die transpersonalen Wesensanteile. Beide, zwar von gegensätzlichem Charakter, gehören als Gegensatzpaar ebenfalls zusammen und bilden das Ganze der spielenden Persönlichkeit und seiner / ihrer Bühnenfigur. Im Verlauf dieser Proben wird der Schwerpunkt in die ritualisierte Improvisation wandern.
Seelische Vorgänge zeichenhaft verkörpern
Auf die Schlichtheit und die konsequente verfremdende Spiel- und Ausdrucksweise, haben wir uns gleich zu Beginn geeinigt. Im Endstadium der Proben soll das private Körperbild der Spieler nicht mehr sichtbar sein. Das Eliminieren der privat-persönlichen Ausdrucksweise wird trainiert, zugunsten des überpersönlichen Ausdrucks.
Das Vollkommene kann im Unvollkommenen erscheinen
Wenn das geschieht, sind es immer nur kurze Augenblicke. Sie werden wahrgenommen von denen, welche Antennen dafür haben. Die Atmosphäre verändert sich stark, Strahlung, Charisma, durchdringen die Bewegungen, die Mimik, Gebärden und Worte der Spielenden. Es kommt etwas in den Raum, dass nicht von dieser Welt, wohl aber in dieser Welt ist. Solche Momente werden im Nô-Theater, das Erscheinen der Blüte genannt. Wir nennen sie Traumgesicht.
Ausdruck in Präsenz
Meine Sicht, unsere Präsenz und den Ausdrucksstil betreffend, überschreitet was Schauspiel und Theater genannt wird. Sie ist auch esoterisch gefärbt. Und sie führt in Bereiche, die volle Gegenwärtigkeit fordert, Sehnsucht nach Magie und Zauber.
Ravi Shanka, ein indischer Musiker und Komponist, Meister der Sitar, besucht Graf Dürckheim in Rütte. Es ergibt sich, dass er Zuschauer ist, einer extrem langsamen Performance von mir. Beim Abendessen erzählt er, dass sein Freund, ein indischer Schauspieler, seine Kunst:
“ … als höchstes Mittel betrachtet, um des universellen Seins teilhaftig zu werden, und immer noch gibt es in Indien viele Schauspieler, die sich in ihrer Kunst darin üben, die Wirklichkeit des alltäglichen Lebens zugunsten einer höheren Wirklichkeit zu überschreiten.“
Und dann fügt er hinzu, dass er diese Bestrebung auch in unserer Performances erkennt. Ja. Ich erlebte mich erkannt in meiner Profession. Später hatte ich nur selten noch die Möglichkeit, diese Qualität auf der Bühne erscheinen zu lassen. Der generationsbestimmte Zeitgeist hat viel verändert und die meisten Menschen heute, sind immer weniger bereit, der Sehnsucht zur höheren Wirklichkeit zu folgen, geschweige ihr durch Verkörperung Ausdruck zu geben. Mit den Spielern Martin und Nikolai könnte es gelingen, die andere Wirklichkeit in dieser Wirklichkeit erscheinen zu lassen.
Toleranz
Zurück zum Projekt Wandlung21
Die momentanen Wahrnehmungs- und Ausdrucks Experimente, durch die Wechsel mit der freien und der ritualisierten Improvisation, dem aktiven Imaginieren, der Langsamkeit und Wahrnehmung, stellen hohe Anforderungen an Martin und Nikolai. An uns alle die wir, das Unwesentliche weglassend, nur das Allernötigste zeigend, unsere eigene Imaginationskraft zum Ausgleich des Nicht-Gezeigten, einsetzen müssen. Ein Vorgang, den wir während der Aufführung an die Zuschauer weitergeben. Je nach individueller Einbildungskraft werden sie in das Bühnengeschehen mit hineingenommen. Zuschauer können so zum Mitspieler werden, auf einer anderen Ebene.
Alles Ist Experiment. Es kann gelingen, muss aber nicht.
Wandlung21 ist der Anfang einer Reihe ähnlicher Produktionen
Der Weg ist das Ziel. Eine Binsenweisheit.
Wir werden in kleinen Schritten vorgehen und uns vom Aufführungsdatum nicht unter Druck setzen. Und wenn es soweit ist, gehen wir mit dem Motto: So weit sind wir gekommen.auf die Bühne: Dann zeigen wir was Gestalt bekommen hat, und zeigen was noch nicht gestaltet ist. Ja, wir geben auch dem Unfertigen Raum sich zu zeigen, denn das Gekonnte und das Nicht-Gekonnte sind eins. Sehe ich zuviel Können und Leistung auf irgendwelchen Bühne werde ich schläfrig. Allerdings braucht das Mut und Selbstbewusstsein vor Zuschauern, das noch nicht Erstarkte zu zeigen und liebevoll anzunehmen. Doch dürfen Schwächen selbstverständlich erkannt, sie sollten nicht überspielt werden. Werden sie innerlich bejaht, kann aus ihnen Stärke werden.
Die Schwäche wandelt sich in kundige Stärke.
Ein hoher Anspruch
Nikolai bemängelt, dass es überhaupt keine Regie gibt. Stimmt. Ich will auch keine Regie führen im üblichen Sinn. Den Dialog will ich, zwischen den Spielern und mir, das vor allem. Den Dialog zwischen ihrem Unbewussten und meinem Bewusstsein, zwischen meinem Unbewussten und ihrem Bewusstsein. Dann kann auch der Dialog gelingen mit dem Geheimen Regisseur. Er ist ein transzendenter Anteil einer Gruppe der aktiv wird, wenn das Schöpferische leben kann. Dieser Dialog ist der eigentlich wesentliche und aus ihm wird ein Stück und seine Bühnenfiguren.
Wir sind im Zustand der Schwebe. Ja, das ist so. Und er ist von mir gewünscht, wenn auch nicht leicht auszuhalten. Wir haben die Chance auf etwas zu zu schweben, das unser Schaustück werden soll. Durch Zulassen und Geschehen lassen innerer, zielführender Impulse. Das Ziel soll sich also auf uns zu bewegen.
Surrealität
Es bleibt nicht aus, dass ich mich als Blinder erlebe der Blinde führt. Ich kenne das und weiß, dass wir so zum Stimmigen hingeführt werden. Die Zuschauer sollen diese Surrealität erleben. Als eine Ausdrucksweise, die jenseits ist von Wirklichkeit, die traumartig ist.
Martin und Nikolai; in unterschiedlicher Weise sind sie begabt für die dazu notwendige Ichtranszendenz. Die Bühnenfiguren sollen gleichsam aus sich heraus entstehen. Sie tun das bereits und entwickeln mehr und weniger schon diese Ansätze von Eigenleben. Das sind schöpferische Prozesse, unabhängig von unseren Vorurteilen und ohne Wollen. Doch sollen sie die Richtung angeben. Um diese nicht zu verfehlen, muss immer wieder neu die Wahrnehmung und ihr Ausdruck trainiert werden. Damit wird verhindert, dass der Kopf sich nicht das Spiel zerstörend einmischt.
Texte
Wir haben nur noch einen Mini-Text von Goethe und einen anderen von Musil. Die Reihenfolge der Texte soll sich aus Zufällen zusammensetzen. Wir haben uns darauf eingelassen, wohl wissend das wir davon manchmal überfordert sein werden. Außerdem sind auch die Geschlechter verwischt durch die Zerstückelung der Texte. Was für eine Provokation für die Spieler. Zunächst! Und dann, wie von selbst, trotz strenger Verfremdung, kommen überraschend Persönlichkeitsanteile der Spieler ins Spiel und lassen es zu. Ich staune und freue mich. Martin, vorsichtig und zart, enthüllt eine mädchenhafte Geliebte. Nikolai lässt den Macho zu, hart und wollend.
In die Zukunft geschaut
Die Geliebte erhebt am Ende des ersten Bildes, zum ersten Mal und zurecht fordernd ihre Stimme, als der Macho sie verlässt: So nicht!
Und tatsächlich, der Macho wohl berührt von der Art und Weise wie sie die Worte ausdrückt, kommt zurück. Welcher Wert ist in ihm angesprochen, lässt ihn so handeln.
Macht die mädchenhaft Geliebte ihn, den fast Barbaren, aufmerksam auf Werte und Regeln? Sein Zurückkommen überrascht uns alle.
Und dann reichen sie sich unendlich langsam die Hände zum Abschied. Er ist endgültig! Das spüren wir alle. Zuletzt, wie ein Abschiedsgeschenk, gibt sie ihm etwas mit auf seinen Weg. Die Möglichkeit der inneren Umkehr! Das ist viel. Und er gibt ihr die Erfahrung, das sie Wandlung bewirken kann. Das ist auch viel.
Still wird es im Raum. Wir sind berührt, auch von eigenen persönlichen Erinnerungen tragischer Abschiede. Eine starke Szene, in der Das Traumgesicht erscheint und mit ihm die tiefe Schöpferkraft beider Spieler. Ein Sharing wäre wohl noch stimmig gewesen.
So, an dieser Stelle höre ich auf.
Mit dem dritten Blog zu Wandlung21, beginne ich in den nächsten Tagen. Über Rückmeldungen von Dir, wie immer sie sein werden, freue ich mich.
Also dann, bis bald.
Wolfgang
Hier noch der Link zur Mediathek des TheaterLabor TraumGesicht. Dort findest Du den Flim von der Produktion „Wandlung21“. Vielleicht magst Du ihn Dir ja ansehen.