Ich möchte ein solcher werden wie einmal ein anderer gewesen ist.

KASPAR sagt diesen Satz, einem Koan ähnlich, in dem gleichnamigen Stück von Handke.
Wir erproben es zurzeit im Ensemble. WER ist dieser Andere? Kaspar selbst vor einem Bruch in seinem Leben, vor einer Initiation? War er Selbst dieser Andere, sein Inbild?

Während des Nachsinnens dieser Fragen fällt mir Jens ein der kürzlich erzählt:  durch die regelmäßige Teilnahme an den Workshops habe ich tatsächlich etwas wahrgenommen was mein Inbild sein könnte und habe es ja auch teilweise schon auf der Probebühne physikalisieren können. In den Rückmeldungen bin ich von euch darin bestätigt worden. Ich habe durch die Empfindung meines Inbildes gelernt nicht länger der sein zu müssen, den meine Eltern haben wollen. Das ist so geheimnisvoll zu fühlen, das es jemanden gibt, ganz tief in mir, der ich einmal sein könnte, irgendwann. Dieser Innere ist wahrer als ich.  An ihn möchte ich heute wieder anknüpfen und übrigens, Slow Acting-Schauspiel und euren Rückmeldungen verdanke ich viel.

Britta, im gleichen Workshop, erzählt: Die Art und Weise, wie ich hier an Rollen und Texte heran geführt werden, hat ganz viel mit künstlerischer Umsetzung der Gestaltpsychologie zu tun. Es bereichert mich, wenn ich auf der Bühne eine Figur bin, wenn mir bewusst wird, das eigene unbewusste Anteile unwillkürlich mitgestaltet haben und bewusst werden.

Die Begriffe Gestalt und Inbild gehören von Anfang an zu meiner Methode Slow Acting.
Ich sehe sie im Zusammenhang mit der universalen Gesetzlichkeit zur Wandlung. Sie gehört zum tiefen Wesen des Theaters von Anfang an. Und ist nicht jeder Mensch daran verküpft und trägt Verantwortung für sie? Davon bekomme ich Ahnung als ich, von innen her genötigt, mich entschließe nichts mehr nach zu ahmen und zu verkörpern was sich außerhalb von mir befindet. Also keine Nachahmung mehr der äußeren Welt!
Ich entdecke Möglichkeiten eine darzustellende Figur durch Imagination und Meditation, durch universale Gebärden und Bewegungsabläufe, durch das seelische Handwerk der Tiefenpsychologie, verbunden mit Exerzitien aus Zen, gleichsam zu gebären. Mystische Erfahrungen erfüllen mich. Sie bewirken Wandlung. Ich fühle, das ich auf meinem Weg bin.

Beim konventionellen Theater konnte ich nicht länger bleiben
Die Suche bringt mich zu Graf Dürckheim. Ich besuche regelmäßig seine Workshops in Frankfurt, im Hotel Intercontinentel:
Übungen die zur Stille führen, im Stile des Zen. Was für eine Verheißung!

Viele Jahre später bin ich mit einem hohen Maß an initiatischen Erfahrungen und Erkenntnissen  Mitarbeiter von Graf Dürckheim und seiner Lebensgefährtin, der Psychotherapeutin Maria Hippius,
in der von ihnen gegründeten Existentialpsychologischen-Bildungs- und Begegnungsstätte, der späteren Schule für initiatische Therapie. Sie wird später von unzähligen suchenden Menschen aus der ganzen Welt aufgesucht.

In einer Supervisionsstunde erzähle ich Graf Dürckheim von der Vision eines Schauspiels, das zu einem initiatischen Schauspiel wird. Es trägt die Möglichkeit in sich durch Übungen, Rollen, Interaktionen, mit dem individuellen Inbild in Berührung zu kommen. Es kann im steten Wechsel  auf der Bühne physikalisliert und dann außerhalb von ihr an weiterer Gestaltwerdung gewinnen.

Unter Gestalt verstehen wir ja die Art und Weise in der das Inbild als drängende Sehnsucht zu einer bestimmten Lebensgestalt hin, sich auf dem individuellen In-Weg erfüllen möchte. Dein initiatisches Schauspiel scheint dafür ein hervorragendes Medium zu sein. (Graf Dürckheim)

Schauspiel. In-Weg

Wolgan Keuter schaut milde lächelnd in die Kamera und stützt sich mit zwei Fingern nachdenklich die Schläfe.Im Slow Acting-Schauspiel, diese Bezeichnung hat das initiatische Schauspiel viele Jahre später bekommen, bekommt die drängende Sehnsucht zur Begegnung und Verwirklichung mit der inneren Lebensgestalt weites Experimentierfeld. Es fördert komplex und gestaltgebend seine Fleischwerdung. Diese Möglichkeit bietet jede Figur die du auf unserer Bühne, mit unseren Stilmitteln, Spielregeln und Ritualen, physikalisierst. Egal ob es eine literarische Figur ist, eine von dir gewählte oder ein eigener innerer Anteil.

Erfahre deine eigene tiefe, innere Lebensgestalt,  im Leib der du bist. 

 Formung und Verwirklichung

SlowActing-Schauspiel ist ein Weg der dich durch viele Rollen und Situationen auch zu Grenzerfahrungen führt. Anders kann der Prozess kontinuierlichen Inkarnierens nicht gelingen. Er gelingt während der Schauspiel-Schulung und weit darüber hinaus durch das stete Üben deiner  Wahrnehmung  für die Wahrheit des Augenblicks. Und dann wird sie mit der Frage nach ihrem Ausdruck gekoppelt.
WIE zeigst du das Wahrgenommene mit deinem ganzen LeibKörper, mit deinem Atem und der Stimme, mit Gebärden, Gehweisen und Mimik? WIE bringst du deine Empfindungen so nach außen, das sie von deinem innerem Ordnungsprinzip geführt werden? Die Antwort gibt zuerst dein LeibKörper in seiner Sprache. Erst danach bekommt die verbale Gestaltung Ausdrucksraum. 

Erfüllt Sein, ausgerichtet auf deine individuelle Ganzheit

Die Leiter*innen von Slow Acting-Schauspiel verfolgen mit dir, in und mit jeder Figur, professionelle Schulung. Die so entstehende Bühnenfigur zeigt als Gestalt z. B: die Stufe der Verwirklichung deines individuellen Inbildes und du kannst es fühlen, mit Leib und Seele, sehr konkret
Wenn nach geübtem Hergeben, Nachgeben, Zulassen, Geschehen-Lassen und Gestalten-Lassen, in diesem Werdevorgang alles zur Einheit verschmilzt auf der Bühne, erscheint das Traumgesicht. Es ist strahlendes Zeichen deiner, dich durch eine Bühnenfigur transzendierende, Offenbarung.  Dann gibst du dir, den Zuschauern und der Bühne das Mysterium zurück.

Die Leistungsgesellschaft verbannt die mystische Erfahrung ins Unbewusste. Doch gehört sie ganz wesentlich zur menschlichen Entwicklung. Bei vielen Menschen ist darum die Sehnsucht nach ihr  geblieben. Das erfahre ich so oft in meinen Coachings. Jeder wahre Ausdruck auf der Bühne ist mystisch. 

Werde-Gestalt

Im schwarzem Bühnenraum steht links eine Frau mit weißem Kittel und weißem Haarnetz. Vorne rechts steht ein Mann mit grauer Maske und graumen Hut und macht eine starke, rührende Gebärde mit beiden Händen.

Fazit

Im dialektischen Wechsel von Eindruck und Ausdruck, von Person und Figur, von Innen und Außen, von Subjektivem und Objektivem, von Leidenschaft und Ritual, geschieht Integration. Sie erschafft im fühlenden Wahrnehmen die innere Raum-Zeit. Darin enfaltet sich deine Bühnenfigur.

… tief in uns liegt diese schöpferische Kraft, die das zu erschaffen vermag, was sein soll, und nicht ruhen und rasten läßt, bis wir es außer uns oder an uns, auf eine oder die andere Weise dargestellt haben. Goethe